Magnus Neubert (30) lebt mit seinem Sohn Benjamin in Halle-Neustadt. Er studierte Philosophie und Volkswirtschaftslehre in Halle und London. Seit Oktober 2021 ist er in der Promotionsförderung der Hans-Böckler-Stiftung und forscht am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO).
Hans-Böckler-Stiftung: Lieber Magnus Neubert, was und wo studierst du?
Magnus Neubert: Momentan promoviere ich in Halle im Fach Volkswirtschaftslehre zur regionalen Wirtschaftsgeschichte Jugoslawiens. Nach dem Zweiten Weltkrieg regierten dort die Kommunisten unter der Führung von Josip Broz Tito, brachen aber rasch mit der Sowjetunion und gingen einen eigenen Weg zum Sozialismus. Dieser Weg sah vor, dass jeder Betrieb demokratisch von seiner Belegschaft geführt wird und die Betriebe sich unter marktähnlichen Bedingungen behaupten müssen. Konkret untersuche ich, ob diese sogenannte Arbeiterselbstverwaltung die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wirklich gehemmt hat, wie oft angenommen wird.
Wie kam es zu diesem Forschungsthema?
Der Sozialismus hat mich eigentlich schon mein gesamtes Leben lang beschäftigt. Zunächst in Familienerzählungen über die DDR, die immer auch im Kontrast zu meinen Erfahrungen der Nachwendezeit standen. In Ostdeutschland aufzuwachsen, bedeutete aber zugleich den Kapitalismus nur im dauerhaften Krisenmodus zu erleben. So kam es auch, dass ich früh anfing, marxistische Literatur zu lesen, und schließlich ein volkswirtschaftliches Studium aufnahm. Mich interessierte dabei nicht nur ein tieferes Verständnis des Kapitalismus, sondern auch alternative Wirtschaftsformen.
Die Arbeiterselbstverwaltung faszinierte mich dabei besonders, weil sie den Werktätigen die Macht gibt, demokratisch über die eigenen Geschicke zu bestimmen. Anders als es in der DDR, aber auch nach der Wende war. Entscheidend ist allerdings, dass eine solche sozialistische Wirtschaftsordnung auch ökonomisch funktionieren und das Leben der Werktätigen verbessern muss. Erstaunlicherweise gibt es dazu bisher noch keine empirische Untersuchung. Jugoslawien unter Tito eignet sich hierfür besonders gut, weil es das einzige Land auf der Welt war, das seine Volkswirtschaft dauerhaft nach den Prinzipien der Arbeiterselbstverwaltung umgestaltet hat.
Welche Rolle spielt die Hans-Böckler-Stiftung für deine Promotion?
Ohne die Hans-Böckler-Stiftung wäre die Promotion undenkbar und ich müsste einer anderen Lohnarbeit nachgehen. Da ich früh Vater geworden bin, war ich an Halle gebunden und hätte ohne das Stipendium nicht die Freiheit gehabt, Thema und Ort für mein Promotionsvorhaben selbst zu bestimmen. Dank der verlängerten Förderung durch die HBS habe ich zudem genügend Zeit, sowohl eine gute Dissertation zu schreiben als auch meinen väterlichen Pflichten nachzukommen. Gerade jetzt im Sommer kann ich guten Gewissens meinen Sohn auch mal etwas früher vom Hort abholen und mit ihm ins Freibad gehen.
Was begeistert dich?
Neben Arbeit und Kind bleibt nicht viel Zeit für andere Dinge. Da bin ich schon begeistert, wenn ich mal abends dazu komme, ein Buch auf dem Balkon zu lesen, Fußball zu spielen, mit dem Rad an den See zum Schwimmen zu fahren oder auf ein, zwei Bierchen in die Kneipe zu gehen.
Wie engagierst du dich?
Über eine enge Freundin bin ich Anfang des Jahres zur Kampagne "Wir fahren zusammen" (WFZ) gestoßen, in der Klimaaktivistinnen und die Gewerkschaft ver.di gemeinsam für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen im ÖPNV gekämpft haben. Es war großartig, die Beschäftigten an den Streikposten zu unterstützen und Einblicke in deren Arbeitswelt zu erhalten. Gewerkschaftsarbeit ist unglaublich wichtig, weil die arbeitenden Menschen merken, dass sie den heraufziehenden Veränderungen nicht hilflos ausgeliefert sind, wenn sie zusammenhalten. Ich glaube auch, dass der große Unmut in Ostdeutschland zurzeit auf eine weit verbreitete Erfahrung der Ohnmacht und der Vereinzelung zurückgeht. Gewerkschaftliche Organisierung kann verhindern, dass diese Menschen der autoritären Versuchung erliegen.
Welche Highlights hat es während der Förderung durch die HBS gegeben?
Jedes Seminar ist ein Highlight. Man lernt unfassbar viel und kommt mit lauter stabilen Leuten zusammen. Mit einigen bin ich mittlerweile eng befreundet. Mein persönliches Highlight, welches noch vor mir liegt, wird mein Auslandsaufenthalt an der London School of Economics. Ohne die großzügige Förderung der HBS (und die Unterstützung meiner Expartnerin) hätte ich die Einladung gar nicht annehmen können. Das wird eine unglaublich lehrreiche und aufregende Zeit. Ganz besonders freue ich mich darauf, dass mein Sohn mittlerweile alt genug ist und ich ihm in den Winterferien endlich London zeigen kann.
Weitere Informationen
Hans-Böckler-Stiftung
Promotionsförderung der Hans-Böckler-Stiftung
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO)