Chen Jerusalem, Alumnus des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks über sein Studium und seine Abschlussarbeit „Cover the Body with Feelings“:
Als Designer arbeitet man an der Wirkung anderer Leute. Das Gegenüber zu verstehen, um sein Verlangen - nach welcher Wirkung auch immer - stillen zu können.
Meine Erfahrungen sammelte ich bei einem sechs monatigen Aufenthalt bei den zwei Querdenkern in der Haute Couture Viktor and Rolf und begleitete sie zu zwei Schauen nach Paris. Seit 2012 bin ich Mitglied im MTV EMA Costume Team und arbeitete bereits an Projekten für Robin Thicke und Miley Cyrus. 2013 präsentierte ich mit anderen Ausgewählten des Jahrgangs meine Realisation zum Film Lone Ranger auf der Europa Filmpremiere in Berlin. Bereits im ersten Semester stellte ich in einem Kooperationsprojekt mit Lodenfrey ein Kleidungsobjekt aus Papier über die Winterzeit in deren Schaufenster aus.
Mode ist eben nicht nur die Art und Weise sich zu kleiden, sondern viel mehr sein Gefühl nach außen tragen zu können. Kein Mensch legt seine Gefühle vor der Masse gern aus, doch modisch jubeln wir anderen unser Gefühl ein wenig unter.
Mode hat viel mit Stimmung und Laune zu tun, aber auch damit, wer wir sind und wer wir vielleicht gerne sein wollen. Je nach Ereignis, Jahreszeit oder Empfindlichkeiten, wie Müdigkeit oder Krankheit, bedecken wir uns ganz von selbst mit diesem für diesen einen Moment wichtig empfundenen Gefühl.
Das Jerusalem Syndrom, ist eine anerkannte Psychose die Ende der 1970er Jahre in Jerusalem entdeckt wurde. 50 bis 200 Pilger, Touristen, aber teils auch einheimische Bewohner jährlich erkennen sich selbst als Heilige wieder. Sie glauben, von Gott gesandt zu sein oder zumindest mit ihm Kontakt aufgenommen zu haben. Schwangere Frauen meinen, Jesus den Erlöser in sich zu tragen. Andere waren der Meinung, die unzerstörbaren Kräfte des halbstarken Samson übermittelt bekommen zu haben. Ein anderer steckte die heilige al-Aqsa Moschee kurzzeitig in Brand weil er meinte es von Gott so befohlen zu bekommen.
Orte können auf uns in unserer Entwicklung genauso einwirken wie jegliches anderes Merkmal. Spirituell gesehen haben verschiedene Orte auf jeden eine andere Ausstrahlung. Das Jerusalem Syndrom behandelt genau diese Art von Gefühlen. Die Gefühle, die entstehen sollte uns eine Stadt so einnehmen, dass wir uns selbst erst einmal wiederfinden müssen.
Wie auch Eva aus der Rippe des Mannes geschaffen wurde, findet sich innerhalb dieser Kollektion der schwarze Mantel, der traditionell von chassidischen Männern getragen wird, auch bei der Frau wieder. Inspiriert durch die Zwangsjacken einer psychotherapeutischen Klinik sind Taschen unter einer Klappe versteckt, die unsere Hände vom Handeln abhalten sollen. Sie erinnern außerdem an die vor Diebstahl schützenden Hände der Menschen beim Einkaufen auf dem Schuck – dem Markt.
Über asymmetrisch lange und kurze Hemden, Blusen, Hosen und Jacken legen sich aufwändig bestickte Bustiers, deren Muster an armenischen Kacheln erinnern, welche in Jerusalem nicht wenig aufzufinden sind. Teils werden Elemente wiederholt auf ein Kleidungsstück aufgesetzt und so entsteht Verwirrung: wo ist der Verschluss, wo ist der Eingang und wie lang sind Arme und Beine wirklich?
Die Pelzpartien sind nicht unauffälliger als die großen Pelzhüte die so manch einer in der Stadt bei Wind und Sonne trägt, einfach als Zeichen dafür, sich so etwas leisten zu können oder eben als Statussymbol der Chassidim. Große Ohrringe hängen uns von den Ohren und erinnern ein wenig an den aufwendigen Schmuck jemenitischer Bräute. Taschen in quadratischer Form ähneln den Gebetsboxen und Riemen, die sich fromme Männer morgens an der Kotel – Klagemauer um Arm und Kopf binden, den Tefilin.
Wie bei einer Metamorphose wirken Hosen und Oberteile von weitem wie lang gezogen. Das Hemd zieht sich über das Gesicht und die Hose über den Schuh.
Jeder Faden dieses Konzepts wurde vom Versuch geleitet, den menschlichen Körper in meine Eindrücke von Jerusalem zu kleiden, ihn mit dieser einmaligen Aura, dem Wahnsinn des Jerusalem Syndroms zu umgeben. Jedes Kleidungsstück gleicht einem Symptom der Veränderung, die eine Stadt in uns auslösen kann. Wenn auch ihr Ursprung in Jerusalem liegt, so mag die Wirkung der Kleidung für jeden Menschen nur an seinem Ort eine relevante Wirkung entfalten.