Stipendium Plus
© Heidi Scherm. Quelle: sdw
© Heidi Scherm. Quelle: sdw

Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen

Eine Perspektive zweier Stipendiatinnen des Avicenna-Studienwerks

Mit der steigenden Anzahl von Flüchtlingen steigt auch die Relevanz dieses Themas. Häufig werden Flüchtlinge als Belastung und Bedrohung des hiesigen Wohlstands wahrgenommen. Die Stipendiatinnen Uma Rzayeva (22) und Silvana Omar (26) gehören zum ersten Stipendiatenjahrgang des Avicenna-Studienwerks und möchten einen Perspektivwechsel anbieten. Uma studiert Medizin und ist selbst als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Silvana studiert Germanistik und engagiert sich als Flüchtlingspatin in einem sozialen Brennpunkt der Stadt Köln. Im Folgenden stellen sie ihre Gedanken über die Thematik aus eigener Erfahrung dar.

Uma Rzayeva
© Uma Rzayeva

„Wegen mangelnder Sprachkenntnisse wurde einem manchmal das Gefühl vermittelt, nicht dazuzugehören und unerwünscht zu sein.“ (Uma)

„Welche Verhältnisse müssen in den Heimatländern herrschen, damit Menschen bereitwillig Familie, Freunde, die Heimat und das ganze Hab und Gut zurücklassen und in eine ungewisse Zukunft ziehen? Genau diesen Schritt wagte meine Familie vor ungefähr elf Jahren. In der Hoffnung, meinen Geschwistern und mir bessere Zukunftsperspektiven zu ermöglichen, sind meine Eltern aus Aserbaidschan ausgewandert und fingen ein ganz neues Leben in einem unbekannten Land an.

Die erste Zeit in Deutschland war nicht ganz leicht; wir kamen in einem Asylantenheim unter und ich wurde, wie alle Flüchtlingskinder, die ein gewisses Alter überschritten hatten, in eine Hauptschule geschickt. Kurze Zeit später gelang mir jedoch der Wechsel auf das Gymnasium, auf dem ich auch mein Abitur absolvierte. Auf die seelische Unterstützung meiner Familie konnte ich immer zählen, denn für sie war und ist auch weiterhin Bildung der Schlüssel zum Erfolg. Zudem habe ich während dieser Zeit auch viel Anerkennung von meinen Lehrerinnen und Lehrern erhalten. Das Gefühl, ernst genommen und wertgeschätzt zu werden, hat mich in meinen Bestrebungen so sehr gestärkt, dassich schließlich nach einem halben Jahr Bundesfreiwilligendienst mit dem Medizinstudium anfangen konnte.

Ungefähr zeitgleich bewarb ich mich beim Avicenna-Studienwerk und wurde in den ersten Stipendiatenjahrgang aufgenommen. Dies ist für mich eine große Bereicherung, da ich gerade vom Ideellen Förderprogramm und vom Austausch mit den anderen Stipendiaten enorm profitiere. Ich blicke nun zurück auf mein Leben als Flüchtling und kann sagen, dass ich im Laufe der Zeit ganz verschiedene Erfahrungen gemacht habe. Wegen mangelnder Sprachkenntnisse wurde einem manchmal das Gefühl vermittelt, nicht dazuzugehören oder unerwünscht zu sein. Glücklicherweise überwiegen jedoch die schönen Erinnerungen. Erinnerungen an die interessierten und unterstützenden Mitschüler, Lehrer und Mentoren haben mich in meiner Schulzeit dazu bewegt, selber in der Migrantenhilfe aktiv zu werden – beim Projekt „JuMiLo – Jugendliche Migranten als Lotsen“ der Diakonie habe ich Kinder unterstützt, die einen ähnlichen Weg beschritten haben wie ich es getan hatte. Ich habe aus meiner eigenen Geschichte gelernt, dass jegliche Art von Unterstützung und das Gefühl der Zugehörigkeit essenziell sind, wenn es darum geht, sein persönliches und intellektuelles Potenzial voll auszuschöpfen.“

Silvana Omar
© Silvana Omar

„Je willkommener sie empfangen werden, desto größer ist ihr Interesse, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.“ (Silvana)

„Die Förderung des Avicenna-Studienwerks ermöglicht mir, mich seit Herbst 2014 in einem Projekt der Kölner Freiwilligen Agentur und des Kölner Flüchtlingsrats als außerschulische Patin von Flüchtlingskindern zu engagieren. Im Rahmen dieser Arbeit setze ich mich für die Verbesserung ihrer Deutschkenntnisse ein und versuche, den Wechsel von einer Seiteneinsteigerklasse in die Regelklasse zu erleichtern.

Ich betreue zwei Schwestern im Alter von zehn und zwölf Jahren, die als Roma aus Bosnien zunächst einige Jahre in Italien lebten und nun seit etwa vier Jahren in Deutschland sind. Wöchentlich verbringe ich mit Vanessa (12) und Samira (10) (Namen geändert) viele spannende Stunden, sei es beim Kuchenbacken oder Minigolfen, im Tierpark oder in der Seilbahn. Möglichst viel unterhalten, darum geht es! Denn in ungezwungener Atmosphäre fällt es den Kindern viel leichter, sich etwas von der Seele zu reden. Und wenn ein Satz mal krumm und schief wird – nicht schlimm. Sie werden trotzdem wertgeschätzt! Denn genau das ist es, was Flüchtlingen häufig gerade in ihrer Kindheit und Jugend fehlt. Die anfängliche Erfahrung von meiner Freundin Uma wiederholt sich zehn Jahre später bei Vanessa und Samira: Sie haben das Gefühl, ausgegrenzt zu werden. Sie berichten: `Keiner mag uns in der Schule. Die spielen nicht mit uns.`

Für sie ist die Message klar: `Ihr seid anders.` Diese ablehnende Haltung generiert einen Teufelskreis: Je unwillkommener sie sich fühlen, desto unmotivierter sind sie, sich in die Gesellschaft einzubringen. Umgekehrt heißt das aber auch: Je willkommener sie empfangen werden, desto größer ist ihr Interesse, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Wertschätzung ist das Stichwort. Wie wichtig Anerkennung sein kann, sehe ich bei Uma, die hierdurch den Ansporn entwickelt hat, der Gesellschaft als Ärztin helfen zu wollen. Zum anderen habe ich bei Vanessa und Samira gemerkt, dass sie durch Wertschätzung Selbstbewusstsein entwickeln konnten. Dafür spricht auch Samiras neueste Erzählung: `Wir haben jetzt Freunde! Wir haben einfach gefragt, ob wir mitspielen dürfen. Vorher haben wir uns nie getraut.`“


Hier gelangt ihr zu den anderen Einblicken des Monats:

Juni 2015: Chen Jerusalem, Alumnus des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks über sein Studium und seine Abschlussarbeit „Cover the Body with Feelings“ 

Mai 2015: Erstes Absolventenkonzert mit Stipendiatinnen und Stipendiaten aus der Musikerförderung des Cusanuswerks

April 2015: Mitbestimmen und über den Tellerrand schauen — das Evangelische Studienwerk ermöglicht neue Perspektiven

März 2015: Den Gründergeist schon während des Studiums entdeckt

Februar 2015: Bericht von Ronny Zimmermann, Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung

Januar 2015: Das FES-Bildungsprogramm von und für Stipendiat_innen 

Dezember 2014: Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung

November 2014: STUDIENSTIFTUNG ZEICHNET BESONDERES ENGAGEMENT AUS: MAXIMILIAN OEHL ERHÄLT DEN „WEITER?GEBEN!“-PREIS 2015

September 2014: Mein Weg zur Hans-Böckler-Stiftung und die Förderung der Stiftung

August 2014: Materielle und ideelle Ermöglichung zum Andersdenken mit einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Juli 2014: Kleine Klassen, echte Profis als Lehrer

Juni 2014: WEITER HORIZONT, ENGE GRENZEN? – Austausch ohne Grenzen in offenes Netzwerk als Teil der „Villigster Gemeinschaft“

Mai 2014: Bericht von Nina Schießl (Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk)

April 2014: Aufbrechen zu neuen Zielen. Mit den Begabtenförderwerken in die Welt. (Bericht von Maria Dillmann, Cusanuswerk)

März 2014: muslimisch – talentiert – engagiert. Avicenna-Studienwerk startet mit der ersten Bewerbungsphase

Februar 2014: "Bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft kommen Studierende aus allen Fachrichtungen zusammen"

Januar 2014: Studieren und Promovieren mit einem Kind oder – man mag es kaum glauben - sogar mehreren Kindern? (Bericht von Helen Schmitt-Lohmann und Laura Solzbacher, Konrad-Adenauer-Stiftung)

Dezember 2013: Ein Tag aus meinem Leben als Stipi von Tina Jung, Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung

November 2013: Abschlussbericht von Olivia Güthling, Altstipendiatin der Friedrich Naumann-Stiftung

 

Avicenna Studienwerk
Cusanuswerk e.V.
Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk
Evangelisches Studienwerk e.V. Villigst
Friedrich-Ebert-Stiftung
Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit
Hans Böckler Stiftung
Hanns Seidel Stiftung
Heinrich Böll Stiftung
Rosa Luxemburg Stiftung
Stiftung der deutschen Wirtschaft
Studienstiftung des deutschen Volkes