Wer bist du und was machst du derzeit?
Mein Name ist Karim El-Marouk. Ich studiere derzeit Medizin an der LMU München im letzten Studienjahr. Aktuell absolviere ich ein Forschungsjahr in Boston an der Harvard Medical School.
Das klingt sehr spannend! Erzähle uns mehr über deine Forschung und was genau du in Boston machst.
Ich forsche seit einigen Monaten am Massachusetts General Hospital, einem der größten und ältesten Lehrkrankenhäuser der Harvard Medical School. Dort arbeite ich in einem onkologisch-experimentellen Labor, das sich darauf konzentriert, neue Ansätze zur Verbesserung von Krebstherapien zu entwickeln. Der Fokus liegt darauf, nicht nur den Tumor selbst, sondern die ihn umgebende Mikroumgebung zu beeinflussen und zu manipulieren.
Mein spezielles Forschungsfeld befasst sich mit dem Pankreaskarzinom, einer der tödlichsten Krebsarten, und der Frage, wie man das Überleben der Betroffenen verbessern kann. Zudem untersuche ich, wie Volkskrankheiten wie Bluthochdruck oder Adipositas das Krankheitsverlauf und die Prognose beeinflussen. Im Rahmen meiner Doktorarbeit an der LMU konnte ich bereits Erfahrungen in der klinischen Forschung sammeln. Ich betreute 40 Lungenkrebspatienten im fortgeschrittenen Stadium im Rahmen einer klinischen Studie. Ziel war es, herauszufinden, welche Patientinnen besonders von neuen Immuntherapien profitieren könnten – also Ansätzen, die das Immunsystem gezielt gegen den Tumor aktivieren.
Du bist auf den letzten Zügen deines Medizinstudiums. Was hat dich dazu inspiriert, dein Studienfach und deinen Forschungsbereich zu wählen?
Auch wenn ich mich schon am Ende meines Studiums befinde und bald meine ärztliche Tätigkeit aufnehmen werde, so ist es für mich manchmal immer noch surreal diesen Weg gegangen zu sein. Die Hürden zu einem Studium für Kinder und Jugendliche aus Nicht-Akademiker Familien sind in Deutschland leider immer noch sehr hoch. So war es auch für mich als erste Person in der Familie, die einen Hörsaal betreten durfte, nicht leicht diese Hürden zu meistern – das Studium und vor allem die Arbeit mit kranken Menschen ist für mich ein Privileg, kein Selbstverständnis.
Menschen helfen, Menschenleben verändern und natürlich der Fakt, dass wenn man einem Menschen das Leben rettet, es so sei, als habe man der ganzen Menschheit das Leben gerettet [Koran 5:32]. Für mich waren diese Gründe natürlich auch initiale Grundüberlegungen, weshalb ich mich für das Studium der Humanmedizin entschieden habe. Gepaart mit meiner Krebserkrankung und langen Krankenhausaufenthalten im Kindesalter war der Entschluss gefasst: ich möchte Arzt werden. Doch ist das wirklich alles? Dieser Gedanke kam mir im Laufe des Studiums immer wieder und vor allem jetzt im letzten Jahr, in dem man mit seinen Entscheidungen langfristig den eigenen Weg ebnet. Mir wurde klar, dass mir die Türen zur Forschung und innovativen Heilansätzen offenstanden. Gerade die Onkologie ist ein Gebiet, welches in den letzten Jahren mehrere revolutionäre Entwicklungen verzeichnen konnte. Diese Vielfalt an Möglichkeiten und Fortschritte haben mich gezielt, aber auch durch persönliche Schicksäle und Zufälle, zu meinem Studien-, aber auch Forschungsfeld gebracht.
Wie bist du auf das Avicenna-Studienwerk aufmerksam geworden und was hat dich zur Bewerbung motiviert?
Ich bin seit 3 Jahren Stipendiat des Avicenna Studienwerks und bin sehr dankbar dies behaupten zu dürfen. Avicenna war mir jedoch schon länger ein Begriff. Warum ich mich erst so spät beworben habe? Das hat vor allem einen Grund: bis zu meinem 1. Staatsexamen war ich der Ansicht, dass mir der Zugang zu Stipendien nicht gewährt ist. Nicht, weil ich die Voraussetzungen nicht erfülle oder aus Furcht vor dem Bewerbungsprozess. Es war viel mehr die Angst vor Ablehnung. Die Angst, dass der eigene Fleiß und die Anstrengungen nicht ausreichend wären, dass die Noten nicht genügend wären. Die Zusage, welche ich auf Anhieb nach meiner ersten Bewerbung in Händen hielt, war ein Wendepunkt in meinem akademischen und persönlichen Leben. Ich habe schon immer Aziz Sancar‘s (Nobelpreisträger für Chemie 2015) Ansicht vertreten, dass die meisten Menschen an Intelligenz glauben, doch er war der Überzeugung, dass der Fleiß das sei, was ihn von anderen trenne. Dieser Fleiß ist jedoch alleine nichts wert, ich war fleißig und habe mich dennoch nicht beworben. Was gefehlt hat ist eine externe Motivation. Diese kam in meinem Fall durch einen Kommilitonen, der selbst Stipendiat im Studienwerk war, und in mir mehr gesehen hat als ich in mir selbst. Laut meinem Mentor hier in Boston ist dies auch seine Definition, was einen Mentor eigentlich ausmacht. Diese Erfahrung hat mir verdeutlicht, wie wichtig Mentoren für die persönliche und akademische Entwicklung sind. Deshalb mein Appell: Sucht euch Mentoren, die euch auf eurem Weg begleiten und unterstützen
Wie hat das Stipendium dein Studium, deine Karriere oder deine persönliche Entwicklung beeinflusst?
Seitdem ich mich Avicenna-Stipendiat bezeichnen darf, hat sich mein Leben auf vielen Ebenen verändert. Zum einen wurde dadurch mein akademischer Antrieb gestärkt, wodurch ich mich bekräftigt sah mein volles Potential auszuschöpfen: Es hat mir den Mut gegeben, mich für weitere Programme zu bewerben und eine löste eine Kettenreaktion der Motivation aus. Mit Avicenna als starken Partner an meiner Seite sah ich mich dann auch in meinem Vorhaben bekräftigt meine Bewerbung für die Forschung in Harvard einzureichen – etwas, das ich mir vor einigen Jahren nicht hätte vorstellen können.
Zum anderen konnte ich mich persönlich in einem Umfeld entwickeln, welches meine persönlichen Bedürfnisse, Ansichten und Spiritualität respektiert und akzeptiert. Teil eines solchen inspirierenden Netzwerks zu sein, erfüllt mich immer wieder mit Freude und Stolz #AviFamily! Letztlich wurde mir klar, dass es manchmal tatsächlich nicht wichtig ist, was du kannst, sondern wen du kennst. Eine überspitzte Denkweise, die vor allem hier in den Staaten ausgelebt wird. Was mein Weg vor allem zeigt: wie wichtig es ist, Perspektiven zu schaffen und Barrieren zu überwinden, insbesondere in einem Bildungssystem, das nicht für alle gleichermaßen zugänglich ist. Man eröffnet neue Türen für den eigenen akademischen Weg, erreicht Meilensteine und erleichtert es aber auch künftigen Generationen selbst Wegbereiter zu werden. Mein Wissen an mein Netzwerk weiterzugeben, sehe ich als meine selbstverständliche Aufgabe an.
Du hast die Bildungsungerechtigkeit angesprochen. Du bist vielfältig gesellschaftspolitisch engagiert und setzt dich für ein friedliches Miteinander ein. An welchen Projekten oder Initiativen arbeitest du derzeit?
In der Tat ist die Bildungsgerechtigkeit eines der Bereiche, in denen ich mich sozial engagiere, u.a. bei Applicaid. Gleiche Zugangsmöglichkeiten zu höherer Bildung zu schaffen, liegt mir sehr am Herzen. Außerdem bin ich sehr daran interessiert, dass allen Patienten im Gesundheitswesen die gleiche hochwertiger medizinische Versorgung geboten wird, unabhängig von ihrem Geschlecht, der Religionszugehörigkeit oder ihrer Herkunft. Dieses Thema liegt mir vor allem am Herzen, da ich als Patient aber auch jetzt auf der anderen Seite als zukünftiger Arzt im Gesundheitswesen am eigenen Leib erfahren musste, wie es ist mit kulturellen Unterschieden konfrontiert zu werden. Um auf diese Themen aufmerksam zu machen, habe ich auf der diesjährigen German-American Conference at Harvard ein Panel zum Thema Rassismus und Ungleichheit im Vergleich des deutschen und amerikanischen Gesundheitswesens veranstaltet. Im Rahmen der 79. UN-Vollversammlung in New York durfte ich unter anderem diese Themen als Jugenddelegierter adressieren und in verschiedenen Events darauf aufmerksam machen. Es liegt an uns diese Themen auf die Agenda der Politik zu bringen und dadurch langfristig einen respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander zu schaffen. Wie Avicenna, einer der bedeutendsten Universalgelehrten seiner Zeit und Namensgeber unseres Studienwerks, einmal sagte: „To be able to change the world is only possible when the hearts of people and the consciences of societies change. “
Was würdest du anderen Studierenden raten, die ein Stipendium anstreben?
Lass dir nicht einreden, dass du es nicht schaffen kannst! Hätte ich diesen Gedanken früher gehabt, dann wäre einiges bestimmt anders verlaufen. Dennoch zeigt mein Weg vor allem eins: es ist nie zu spät anzufangen und Wagnisse einzugehen. Mein Grundsatz: mehr als eine Absage kann ich nicht bekommen – und selbst dann gibt es immer andere Wege. Dadurch habe ich meine Angst vor Ablehnung abgelegt und begriffen, dass ein Funke ausreichend ist, um ein Feuer zu entfachen. Jeder von uns besitzt ein „soziales Kapital“, wie Pierre Bourdieu es nennt, eine Form der Macht des Einzelnen, welche man nutzen kann, um erfolgreich zu sein.