Stipendien bekommen nur Elitestudentinnen und -studenten und Stipendien bedeuten in erster Linie Geld - Dieses Bild haben viele im Kopf, wenn sie an ein Stipendium denken. Mir ging es nicht anders. Es stört mich, dass sich viele deshalb nicht trauen, sich auf ein Stipendium zu bewerben. Ich möchte dich dazu ermutigen, es trotzdem zu tun. Ich selbst studiere mittlerweile im vierten Semester Rechtswissenschaften an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen und bin jetzt im zweiten Fördersemester in Villigst.
Selbst wäre ich wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, mich zu bewerben. Aber in meinem Abiturzeugnis, das ich mir erst nach ca. einem Jahr genauer ansah, entdeckte ich ziemlich weit unten eine Empfehlung sich für ein Stipendium des Evangelischen Studienwerks zu bewerben. Jetzt musste alles sehr schnell gehen, da die Bewerbungsfrist in einer Woche endete. Also setzte ich mich mit meiner ehemaligen Schule, einer kooperativen evangelischen Gesamtschule in Nürnberg, in Verbindung um mein Gutachten noch fristgerecht abzugeben. Auch das benötigte zweite Gutachten wurde in kürzester Zeit geschrieben und eingesendet; nebenbei gesagt war es ein gutes Gefühl, dass mich so viele Menschen bei meiner Bewerbung unterstützten.
Dennoch war ich sehr skeptisch, da ich keinen 1,0-Schnitt hatte und mir auch nicht sicher war, ob ich mich - noch dazu im Rollstuhl sitzend - überhaupt für ein Stipendium bewerben konnte. Nachdem ich mich über Villigst übers Internet schlau machte, fand ich heraus, dass dort soziale Kompetenz und ehrenamtliches Engagement genauso eine Rolle spielten. Mir hat es immer Spaß gemacht anderen Menschen zu helfen; dies hört sich vielleicht komisch an für jemanden der selbst auf fremde Hilfe angewiesen ist, aber ich habe früher Nachhilfe gegeben und im Kampfsportverein meiner Brüder bei Events geholfen, indem ich Fotos und Videos gemacht und bearbeitet habe.
Und ich wurde tatsächlich in Villigst aufgenommen und fühle mich dort von Anfang an wohl. Meine Behinderung spielt hier keine Rolle; jeder wird hier so angenommen wie er ist. Als Rollstuhlfahrer wird man, aus meiner Erfahrung, von Seiten seiner Mitmenschen anders wahrgenommen - manchmal sehr "schräg" - im positiven wie auch im negativen Sinn (darüber könnte ich ganze Bücher füllen). Ich hatte die Hoffnung, dass die Leute in Villigst anders miteinander umgehen und diese Hoffnung hat sich von Anfang an bestätigt.
Ich kann mich noch genau an die Einführungswoche erinnern. Beim Abendessen haben wir uns verquatscht und sind länger sitzen geblieben, als wir sollten. Als wir dann doch gehen mussten, haben alle dabei geholfen, das Geschirr wegzubringen und die Stühle zu richten. Alle achten aufeinander und auch auf solche Kleinigkeiten. Deshalb habe ich in Villigst auch das Gefühl, dass die Behinderung gar nicht stört, weil alle hilfsbereit sind und gerne helfen. Mir ist es noch nie passiert, vor einer Tür zu stehen und nicht reinzukommen.
Aber es gibt natürlich viele tolle Leistungen für Villigst-Stipendiatinnen und Stipendiaten. Villigst eignet sich zum Beispiel sehr gut für Leute, die gerne ins Ausland möchten. Dieses Angebot kann ich nicht nutzen, aber auch für mich gibt es viele gute Angebote, zum Beispiel die Sommeruniversität und die Delegiertenkonferenzen in Villigst, an denen ich regelmäßig teilnehme.
Die finanzielle Unterstützung ist für mich auch wichtig, da ich spezielle Software wie Sprachprogramme benötige und viele Lerninhalte digital benutze. Ohne Villigst wäre es schwer, das zu finanzieren.
Aber das Bild, dass es nur um Geld geht und nur Elitestudentinnen und -studenten ein Stipendium bekommen, ist falsch. Ich kann nur jedem empfehlen, es wenigstens zu versuchen. Meinen Bruder habe ich auch dazu überredet. Er hat es versucht und ist beim ersten Mal nicht genommen worden, aber er versucht es sicher noch einmal, denn ihr könnt euch auch zwei Mal bewerben. Also es lohnt sich!