Stipendium Plus
© Heidi Scherm. Quelle: sdw
© Heidi Scherm. Quelle: sdw

Einblick des Monats November 2020

Anna Basina, Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk

Foto: © Ana Basina
Foto: © Ana Basina

Ich bin Anna Basina, eine im postsowjetischen Moskau geborene Jüdin, die in Ostdeutschland ihr Abitur erwarb, im hanseatischen Westdeutschland ihr Medizinstudium bestreitet und sich nach 24 Jahren Lebenserfahrung der modernen Orthodoxie zugehörig fühlt. Die simplen Worte „ich bin“ verlangen in meinem Erklärungsansatz einen verschachtelten Nachsatz, dem noch viele weitere Relativsätze folgen könnten. Als ich mich 2014 um die Aufnahme in das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) bemühte, ergänzte ich in meiner Bewerbung die Worte „ich bin“ mit einem mehrdimensionalen, farbenreichen Selbstportrait und wurde zu meinem großen Segen mit all den verschachtelten Nach- und Relativsätzen in die Förderung aufgenommen. Von zentraler Bedeutung waren in meiner wortreichen Bewerbung zwei wesentliche Aspekte: meine starke Identifikation als Jüdin und meine tiefe Sehnsucht nach Wissen und Bildung. Gerade in diesen Bereichen habe ich das ELES als einen wunderbaren Begleiter in meiner Entwicklung erfahren dürfen. 

Das ELES profiliert sich als ein jüdisches Begabtenförderwerk, welches in Deutschland erstmalig nach der Shoah einen einzigartigen Ort für eine neue jüdische Intellektualität und für diverse jüdische religiöse und kulturelle Lebensentwürfe geschaffen hat. Besonders ist die bei ELES gelebte Praxis der authentischen Form jüdischer Lernkultur, die ihren Ursprung im konstruktiven Streitgespräch, dem sogenannten „Machloket“, hat. Dieses praktizierte Begegnungskonzept hat mein Selbstporträt verändert, diverse Streit- und Bildungsgespräche, die ich glücklicherweise während meiner Förderzeit führen durfte, haben es um zahlreiche Farbnuancen bereichert. Daher kann ich all jenen, die die Erfahrung machen wollen, sich durch Begegnungen mit interessanten Menschen und neuen Perspektiven selber zu erkunden und zu prüfen, das ELES als Förderwerk wärmstens empfehlen.

Durch ein weltoffenes, der Pluralität und Toleranz zugewandtes Selbstverständnis befähigt ELES uns Stipendiat_innen, der Komplexität des 21. Jahrhunderts zu begegnen und seinen Herausforderungen aus jüdischer Perspektive im gesamtgesellschaftlichen Kontext entgegenzutreten. Als Ort der Begegnung, des Austauschs und gegenseitigen Lernens fordert ELES von uns eine tiefgründige Auseinandersetzung mit diversen Meinungen und Realitäten und stärkt unsere Kompetenz, mögliche Dissense auszuhalten und wertzuschätzen. 

Wir sind aufgefordert unsere Gesellschaft mitzugestalten. ELES lebt diese Überzeugung beispielhaft vor und ist ein unübersehbarer und unüberhörbarer Akteur der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Europa. Mit Auslandsveranstaltungen, wie beispielsweise der New York Akademie, wird das globale und internationale Denken der Stipendiat_innen gefördert. Im Rahmen des ideellen Förderprogramms werden Themen und Zukunftsfragen aus der pluralen postmodernen Gesellschaft eruiert und unter Einbeziehung diverser Gesprächspartner_innen angegangen. Das jüngst ins Leben gerufene Programm „Nie Wieder?! Gemeinsam gegen Antisemitismus & für eine plurale Gesellschaft“, das sich an Stipendiat_innen aller 13 Begabtenförderungswerke und die interessierte Öffentlichkeit wendet, ist ein weiteres Zeugnis für das ungemein wichtige Ziel, eine zwischen Globalisierung und (rechts-)konservativem Denken zersplitterte Gesellschaft zu stabilisieren und für das zukunftsfähige Projekt eines toleranten und aufgeschlossenen Miteinanders zu gewinnen.

Das aus dem Lateinischen übersetze Wort „Stipendium“ besitzt mehrere Übersetzungsmöglichkeiten: „Sold, Kriegsdienst, Steuer, Abgabe, Tribut, Gewinn“. Die Möglichkeit und Chance in Deutschland Empfänger eines Stipendiums zu werden ist ein großes Privileg, ein großer „Gewinn“. Allen interessierten Stipendiat_innen wird die Möglichkeit geboten einen eigenen Tribut zur Gestaltung des Förderwerks zu leisten, indem eigene Gedanken eingebracht werden dürfen. Aus tiefer Dankbarkeit für die mir zukommende Unterstützung und dem Auftrag zur aktiven Mitgestaltung folgend, habe ich mich während meiner Förderzeit jahrelang als Regional- und Gesamtsprecherin engagiert und bin sehr dankbar, auch in diesen Positionen gefordert und gefördert worden zu sein.

Michel de Montaigne sagte, der Genuss sei es, der uns glücklich macht, nicht der Besitz. Nun, mir scheint, ich habe im ELES einen Ort gefunden, an dem beides möglich wird. Man erwirbt neuen Besitz, bestehend aus Fragen und Antworten, Zweifeln und Überzeugungen, stillen Gedanken und lebhaften Diskussionen, man eignet sich Wissen an und neue Lust dazuzulernen und man erwirbt Freundschaften, die andauern. Man erwirbt Besitz, man lernt diesen zu genießen und daher darf ich mich sehr glücklich schätzen Stipendiatin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks zu sein.


Hier gelangt ihr zu den anderen Einblicken des Monats:

Oktober 2020: Marius Kulassek, Stipendiat des Cusanuswerks

September 2020: Julian Bartsch, Stipendiat des Evangelischen Studienwerks Villigst. Leben und Studieren mit Autismus

August 2020: Mission: Chancengerechtigkeit in Kindertagestätten. Mona Bannwarth, Stipendiatin der Stiftung der Deutschen Wirtschaft

Juli 2020: Steffi Heger, Promotionsstipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ein Gespräch über persönliche Entwicklung und den eigenen wissenschaftlichen Beitrag

Juni 2020: Interview mit Charlotte Hattendorf

Mai 2020: Vom Schlosser ins chinesische Recht

April 2020: Ein Gespräch mit Aylin Karabulut, Promotionsstipendiatin der Studienstiftung, über ihre Projekte in der Migrations- und Ungleichheitsforschung

März 2020: Amer Althiab, Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung

Februar 2020: Victoria Adouvi, Stipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung

Januar 2020: 20 Jahre Studienwerk RLS – 20 Jahre Kampf für die Bildungsgerechtigkeit- rebellisch- links- solidarisch

Dezember 2019: Anna Axtner-Borsutzky, Stipendiatin der Hanns-Seidel-Stiftung

November 2019: Zeynep Aydin, Stipendiatin des Avicenna-Studienwerk e.V.

Oktober 2019: Alissa Frenkel, Stipendiatin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES)

September 2019: Carolin Schlüter, Stipendiatin des Cusanuswerks

August 2019: Pircivan Kalik, Stipendiat des Evangelischen Studienwerks Villigst: Die Mischung macht es aus

Juli 2019: Yagmur Özkan und Christian Serrer, Stiftung der deutschen Wirtschaft (SDW)

Juni 2019: Mit einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung in Deutschland studieren. Ein Erfahrungsbericht von US-Amerikanerin Alex Swanson

Mai 2019: Arsdeep Kaur, Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung

April 2019: Desiree Maier: Köchin - Abi - Archäologie

März 2019: Henning Dirks, Stipendiat der Studienstiftung

Februar 2019: Banu Çiçek Tülü, Heinrich-Böll-Stiftung

Januar: Michael Klipphahn, Promotionsstipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit seit September 2016. KUNSTGESCHICHTE, HfBK Hamburg

Dezember 2018: New York, New York - Mit dem RLS-Promotionskolleg in der Stadt, die niemals schläft. Ein Bericht von Sarah

November 2018: Schritt für Schritt über sich selbst hinauswachsen!

Oktober 2018: Aus dem Nähkästchen

September 2018: Ein Studienwerk, das einer zweiten Familie gleicht (ELES) 

August 2018: Gregor Christiansmeyer, Stipendiat des Cusanuswerks

Juli 2018: Evangelisches Studienwerk Villigst Ein Bericht von Bernhard Nemerth, Stipendiat des Evangelischen Studienwerks

Juni 2018: Ehrenamtlich bei der Feuerwehr: Porträt unseres Stipendiaten Benedikt Schinzel von der Hochschule Furtwangen 

Mai 2018: "Ein Stipendium ist ein Privileg" Ein Beitrag von Deborah Manavi

April 2018: Beitrag von Delara Burkhardt, Friedrich-Ebert-Stiftung

März 2018: Raus aus dem Betrieb - rein in die Welt

Februar 2018: Ein Porträt der Stipendiatin der Studienstiftung Silke Seibold 

Januar 2018: „Mein Kompass: Respekt, Solidarität und Toleranz!“ von Alexander Marx, Heinrich-Böll-Stiftung 

Dezember 2017: Jana Mittelstädt, Promotionsstipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit seit Juli 2016 

November 2017: Bericht von Silvia: (Un)mögliche Bildung(swege)? Nichts ist unmöglich!

Oktober 2017: Werte verbinden von Markus Hadwiger

September 2017: Alumni 1.0 – Ein Einblick in das Leben danach

August 2017: ELES – ein Ort für Machloket (Streitbarkeit)

Juli 2017: "Puzzlestücke – Wie aus einem Forschungsprojekt in der Mongolei Lebensphilosophie wurde"

Juni 2017: "Bewirb dich! - auch wenn es große Hürden zu geben scheint!"

Mai 2017: "Eine Millionen mal praktische Hilfe für Geflüchtete"

April 2017: "Ein Blick über den Tellerrand"

März 2017: "Deswegen ist es gut, FES-Stipendiat_in zu sein"

Februar 2017: "Ich studiere" klang für mich ähnlich utopisch wie "Ich fliege zum Mars".

Januar 2017: "Als Botschafter setze ich mich für mehr Chancengleichheit in der Bildung ein."

Dezember 2016: „Ein vielfältiges Netzwerk aufbauen“

November 2016: „Ich wollte mich ausprobieren“

Oktober 2016: Bericht von Amina & Corinna

September 2016: Dankbarkeit – ein Bericht von Andreas Wüst

August 2016: Vom Willkommen Heißen zum Ankommen Helfen - Das Flüchtlingslotsenprojekt „Unsere Zukunft. Mit Dir!“

Juli 2016: Denkraum und Diskursmaschine 

Juni 2016: Bericht von Lucas Uhlig

Mai 2016: Als Erster in der Familie studieren? Klar, mit einem Stipendium!

April 2016: Den Geflüchteten ein Gesicht geben

März 2016: Bericht von Franziska Pflaum

Februar 2016: Einblick des Monats

Januar 2016: Einblick des Monats

Dezember 2015: 90 Jahre, 90 Köpfe

November 2015: Große und kleine Transformationen 

Oktober 2015: Universität für Flüchtlinge

September 2015: Vereinbarkeit von Studium, Ehrenamt und Familie dank der Unterstützung durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung

August 2015: DAS JOURNALISTISCHE FÖRDERPROGRAMM DER HANNS-SEIDEL-STIFTUNG 

Juli 2015: Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen.  Eine Perspektive zweier Stipendiatinnen des Avicenna-Studienwerks 

Juni 2015: Chen Jerusalem, Alumnus des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks über sein Studium und seine Abschlussarbeit „Cover the Body with Feelings“ 

Mai 2015: Erstes Absolventenkonzert mit Stipendiatinnen und Stipendiaten aus der Musikerförderung des Cusanuswerks

April 2015: Mitbestimmen und über den Tellerrand schauen — das Evangelische Studienwerk ermöglicht neue Perspektiven

März 2015: Den Gründergeist schon während des Studiums entdeckt

Februar 2015: Bericht von Ronny Zimmermann, Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung

Januar 2015: Das FES-Bildungsprogramm von und für Stipendiat_innen 

Dezember 2014: Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung

November 2014: STUDIENSTIFTUNG ZEICHNET BESONDERES ENGAGEMENT AUS: MAXIMILIAN OEHL ERHÄLT DEN „WEITER?GEBEN!“-PREIS 2015

September 2014: Mein Weg zur Hans-Böckler-Stiftung und die Förderung der Stiftung

August 2014: Materielle und ideelle Ermöglichung zum Andersdenken mit einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Juli 2014: Kleine Klassen, echte Profis als Lehrer

Juni 2014: WEITER HORIZONT, ENGE GRENZEN? – Austausch ohne Grenzen in offenes Netzwerk als Teil der „Villigster Gemeinschaft“

Mai 2014: Bericht von Nina Schießl (Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk) 

April 2014: Aufbrechen zu neuen Zielen. Mit den Begabtenförderwerken in die Welt. (Bericht von Maria Dillmann, Cusanuswerk)

März 2014: muslimisch – talentiert – engagiert. Avicenna-Studienwerk startet mit der ersten Bewerbungsphase

Februar 2014: "Bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft kommen Studierende aus allen Fachrichtungen zusammen"

Januar 2014: Studieren und Promovieren mit einem Kind oder – man mag es kaum glauben - sogar mehreren Kindern? (Bericht von Helen Schmitt-Lohmann und Laura Solzbacher, Konrad-Adenauer-Stiftung)

Dezember 2013: Ein Tag aus meinem Leben als Stipi von Tina Jung, Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung

November 2013: Abschlussbericht von Olivia Güthling, Altstipendiatin der Friedrich Naumann-Stiftung

 

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