Mein Name ist Julian Bartsch, ich bin in Cuxhaven geboren und aufgewachsen und studiere nun mit einem Stipendium des Evangelischen Studienwerks an der Hochschule München physikalische Technik. Dadurch, dass ich mich schon früh anders als andere Kinder verhalten habe, wurde ich nach der Diagnose ADS erfolglos durch die verschiedensten Therapien geschickt.
Nach dem Wechsel auf das Gymnasium wurde mein „Anderssein“ von meinen Mitschülern in der Sekundarstufe II zum Anlass genommen, mir durch Mobbing viel meiner Lebensfreude zu nehmen. Meine bis dahin normalen schulischen Leistungen gingen gegen null und mein Leben war zunehmend durch Depressionen beeinträchtigt. Ich wiederholte gerade die siebte Klasse, als ein Freund der Familie auf meine Situation aufmerksam wurde und mich an einen Facharzt vermittelten, der schnell diagnostizierte, dass ich kein ADS, sondern Asperger-Autismus habe.
Jetzt wurden mir viele Dinge verständlich und mit familiärer Hilfe und einer guten psychologischen Begleitung fing ich an, wieder mehr Freude am Leben zu empfinden. 2017 habe ich am Alfred-Wegener-Institut/Carl-von-Ossietzky-Gymnasium erfolgreich mein naturwissenschaftliches Abitur bestanden, was auch maßgeblich durch meine Lehrer und Klassenkameraden unterstützt wurde, die sich alle mit der Thematik Asperger-Autismus auseinandersetzten und mich so besser verstehen konnten.
Als Berufswunsch kamen für mich entweder Physiker oder Meeresbiologe in Frage. Nach einem Besuch an der TUM im Januar 2017 und nach einem sehr guten Gespräch mit einem der leitenden Professoren, habe ich mich dann endgültig für die Physik entschieden. Außerdem wurde mir in diesem Gespräch empfohlen, mich um ein Stipendium zu bemühen. Gestärkt durch das gute Abitur und die gelungene Integration auf dem Gymnasium, begab ich mich also zum Wintersemester 2017 nach München. Der Freund der Familie unterstützte mich und half mir, mir vor Ort ein neues Netzwerk aufzubauen.
Der Start an der TUM war ernüchternd, obwohl wir mit einigen Professoren im Vorfelde Kontakt aufgenommen hatten, um sie über meine persönliche Situation aufzuklären. Trotz Bemühungen meinerseits, gelang es mir nicht Anschluss zu anderen Kommilitonen und Lerngruppen zu finden und an sozialen Aktivitäten teilzuhaben. Durch diese Isolation kamen meine Depressionen zurück.
Der einzige Lichtblick war, dass ich nach meiner Bewerbung für ein Stipendium beim Evangelischen Studienwerk Villigst zu einem Vorgespräch eingeladen und mir auch in einem telefonischen Vorgespräch die Möglichkeit gegeben wurde, über meine Situation als Asperger-Autist zu sprechen. Das Evangelische Studienwerk Villigst hatte ich mir in erster Linie deswegen ausgesucht, weil ich durch den Pastor meiner Gemeinde in Cuxhaven große Unterstützung erhalten hatte und er mich trotz meines Asperger-Autismus in die Konfirmandenarbeit als Teamer mit einband. Die Aufnahme als Stipendiat und die gesamte Kommunikation und Unterstützung seitens der Mitarbeiter*innen und der anderen Stipendiat*innen in Villigst gab mir etwas von meinem Selbstbewusstsein zurück.
Seitdem ich Stipendiat bin, habe ich dreimal Schwerte-Villigst besucht: zur Auswahlveranstaltung, zur Einführungswoche und als Teilnehmer der Sommeruni 2019. Durch die große Akzeptanz für mein „Anderssein“ war es mir möglich, die Stresssituation, die bei größeren und mir unbekannten Menschengruppen entsteht, gut zu bewältigen, da mir auch die Möglichkeit gegeben war, mich ohne schlechtes Gewissen zurückzuziehen, Klavier und Orgel zu spielen oder mich einfach nur alleine auf meinem Zimmer zu sein. Spannend fand ich bei den angebotenen Seminaren, dass durch die verschiedenen Teilnehmer*innen unterschiedlichste Studiengänge miteinander verknüpft wurden und ich trotz meiner sozialen Distanz viele positive Dinge für mich mitnehmen konnte.
Dennoch verlief mein Studium nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im Frühjahr 2019 war mein absoluter Tiefpunkt erreicht und ich sah keine Perspektive für eine Verbesserung. In dieser Situation wandte ich mich sowohl an meinen Studienleiter im Evangelischen Studienwerk als auch an meinen Professor an der TUM. In beiden sehr intensiv geführten Gesprächen wurden mir neue Möglichkeiten sowohl für meinen persönlichen als auch beruflichen Werdegang aufgezeigt und ich wurde bei der Umsetzung tatkräftig unterstützt. Ich wechselte den Studiengang und studiere nun physikalische Technik an der Hochschule München. Hier hatte ich vor Semesterbeginn die Möglichkeit, mit allen Professoren längere Gespräche zu führen und auf meine Situation aufmerksam zu machen. Das mir von meinem Villigster Studienleiter empfohlene Bündnis gegen Depressionen, ein neuer Psychiater und eine neue Psychologin sind nun neben meinen Hochschulprofessoren mein neues Netzwerk, das mich erfolgreich unterstützt.
Die überschaubaren Strukturen und die geringeren Studierendenzahlen sowie die pädagogischere Ausrichtung der Professor*innen an der neuen Hochschule geben mir das positive Gefühl, als Student nicht in der Masse zu verschwinden. Ich bin heute ein guter Student, habe nicht viele, aber gute Kontakte, die mit meinem „Anderssein“ gut umgehen können. Gemeinsames Lernen und Unternehmungen machen mein Leben wieder bunter und reicher. Ich gehe wieder meinen Hobbys nach und werde sicherer in der Kommunikation mit anderen.
Warum schreibe ich das hier auf? Ich möchte all denjenigen Mut machen, die in ihrer Familie oder in ihrem Umfeld vielleicht Kinder oder Angehörige mit einer Autismus-Spektrums-Störung (ASS) haben und aufzeigen, dass es Möglichkeiten und Wege gibt, trotzdem sein Ziel zu erreichen und ein glückliches Leben zu führen.
Und ich möchte zeigen: Ein Begabtenförderungswerk kann weitaus mehr leisten als finanzielle Unterstützung. Natürlich hat man auch Verpflichtungen, die mir als Autist manchmal nicht so leicht von der Hand gehen, aber man bekommt viel für sein Leben zurück und kann große Unterstützung erfahren.
Des Weiteren möchte ich allen, die ein Studium ins Auge fassen, raten, sich zu überlegen, ob es immer die große Universität sein muss oder ob eine gute kleinere Hochschule mit persönlicherer Begleitung nicht auch zum Ziel führen kann.
Ich habe Dank der vielfältigen Unterstützung an meiner Hochschule und durch das Evangelische Studienwerk meinen Weg gefunden und hoffe, dass er sich weiterhin so positiv gestaltet, dass ich auch irgendwann eine Hilfe für andere sein kann. Denn eins weiß ich sicher: Ohne die Begleitung durch andere, wären mein Chancen im Leben sehr gering gewesen.