Was sind Eure persönlichen Ziele, die Ihr mit einem erfolgreichen Abschluss der Promotion verbindet?
Marieluise Mühe: Ehrlich gesagt, fällt es mir schwer auf diese Frage eine prägnante Antwort zu finden. Ganz schlicht formuliert will ich mit etwas Stolz darauf zurückblicken, dass ich ein solches Großprojekt selbstständig konzipiert, umgesetzt, verschriftlicht, vor einem (Fach-)Publikum verteidigt und vor allem beendet habe. Ich erlebe die Promotionsphase einerseits schon als Kraftakt, der von mir kontinuierlich Geduld, (Selbst-)Motivation und Initiative verlangt. Andererseits bietet mir das Leben als Doktorandin enorme Freiräume zum Denken und Ausprobieren.
Johanna Maj Schmidt: Ich bin dankbar über die Möglichkeit, mich so lange mit einem Thema, das mir gesellschaftspolitisch relevant erscheint, auseinandersetzen zu dürfen. Nach meinem Abschluss würde ich die Erkenntnisse, die ich durch die Diss gewonnen habe, gern mit einer breiteren, nicht exklusiv wissenschaftlichen Öffentlichkeit teilen. Ich arbeite gerade an einem Film, der die Thematik meiner Diss in eine künstlerische Form übersetzt. Ich habe also vor, die Perspektiven, die ich mir im Rahmen der Diss erarbeite, auf unterschiedlichen Kanälen und mit verschiedenen Ausdrucksweisen weiterzugeben.
Warum habt Ihr Euch bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung beworben? Was bedeutet es für Euch, von der RLS gefördert zu werden?
Marieluise Mühe: Ich schätze an der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dass sie meines Erachtens eine sehr „bewegungsnahe“ Stiftung ist, weil sie weltweit Kontakte zu sozialen Bewegungen pflegt und ein Podium für deren Forderungen im Rahmen von vielfältigen Veranstaltungen bietet. In diesem Kontext, der eine große Offenheit und Selbstverständlichkeit für (gesellschafts-)kritische Ansätze besitzt, fühle ich mich mit meinem Promotionsthema gut ver- und angebunden.
Johanna Maj Schmidt: Mir geht es da ähnlich wie Marieluise. Ich bin sehr dankbar, in eine Stiftung eingebunden zu sein, in der kritisches Denken gefördert wird und der Elfenbeinturm durch den Glauben infrage gestellt wird, dass wissenschaftliches Arbeiten auch einen Betrag zu einem gesellschaftlichen Wandel in Richtung mehr Gerechtigkeit leisten kann. Das sagt mir zu.
Welche Schwierigkeiten haben sich für Euch während der Corona-Pandemie für das Promovieren im allgemeinen und insbesondere für Eure Dissertationsthemen ergeben?
Marieluise Mühe: Das geplante empirische Arbeiten, konkret die Durchführung und Organisation von face-to-face Interviews, kam während des ersten Lockdowns bei mir gänzlich zum Erliegen. Nach einem kurzen Möglichkeitsfenster im Sommer, in dem ich persönliche Gespräche vor Ort führen konnte, habe ich mittlerweile die Erhebung komplett auf Videokonferenzen umgestellt, was eigene Schwierigkeiten mit sich bringt (Technikprobleme, Fragen des Datenschutzes, etc.). Außerdem war es in der Zeit der Kontaktbeschränkungen und der Umstellung auf die digitale Lehre komplizierter, meine Betreuung zu konsultieren.
Zugleich fehlt mir die Bibliothek in mehrfacher Hinsicht: Nicht nur der Zugang zur Literatur ist reglementiert, sondern auch der Entzug des Ortes an sich, wo es sich ungestört arbeiten lässt und der soziale Austausch mit Gleichgesinnten oder anderen Promovierenden automatisch stattfindet, wirkt sich erschwerend auf den Arbeitsalltag aus. Dadurch werden die sowieso vorhandenen Momente der Einsamkeit im Promotionsprozess verstärkt, in denen ich mir selbst und meinem Thema „ausgeliefert“ fühle. Nichtsdestotrotz bin ich mir bewusst, dass ich durch die Option Home Office und den Bezug des Stipendiums in der Corona-Krise besonders privilegiert bin. Ich habe weder Care-Verantwortung für Kinder noch Pflege von Angehörigen zu tragen und mein Einkommen ist dank des Stipendiums für dieses Jahr gesichert.
Worüber promoviert Ihr? Worin seht Ihr die gesellschaftspolitische Aktualität/Relevanz Eurer Themen?
Marieluise Mühe: Ich promoviere, grob formuliert, über zivilgesellschaftliche Gegenmobilisierungen zu(m) Rechts(-populismus). Dabei interessiert mich vorrangig, wie in diesem Zusammenhang Bündnisse von demokratischen Akteuren gestiftet, eingegangen und verfestigt werden. Sowohl in der parlamentarischen Debatte, auf der Straße oder medial versuchen (extrem-)rechte Akteure die Deutungshoheit zu gewinnen bzw. die Grenzen des Sag- und Machbaren zu verlagern. Angesichts dessen sollten meiner Meinung nach die Perspektiven und die Erfahrungen derer, die sich der Regression aktiv entgegenstellen, in wissenschaftlichen Arbeiten beleuchtet werden, statt sich allein auf die Analyse der politischen Gegner*innen zu konzentrieren.
Johanna Maj Schmidt: Kurz gesagt beschäftige ich mich im Rahmen der Promotion mit der Frage, welche Rolle das Heroische in rechten Internet-Memes in sogenannten postheroischen Gesellschaften spielt. Was für Heldenbilder und Vorstellungen über das Heroische werden durch die Memes kommuniziert? Während visuelle Propaganda der Nazis ungebrochen den eigenen, vermeintlichen Heroismus beschwor, finden sich in rechten Internet-Memes heutzutage teilweise auch selbstironische Perspektiven auf das eigene Verlangen nach dem Heroischen. Ich versuche, dieses veränderte, selbstironische Verhältnis zum Heroismus zu beschreiben und besser zu verstehen.
Wie politisch darf/soll Wissenschaft sein?
Johanna Maj Schmidt: Ich finde die Frage ist falsch gestellt, denn sie suggeriert, dass Wissenschaft manchmal völlig außerhalb des Politischen stehen würde. Damit meine ich selbstverständlich nicht, dass Wissenschaft in propagandistischer Manier vorgefasste politische Ziele verfolgen darf – natürlich muss der Forschungsprozess ergebnisoffen sein und sich auf Überraschungen einlassen, die vorherige Annahmen erschüttern können. Trotzdem glaube ich, dass Wissenschaft sich immer mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass sie durch den Rahmen/Fokus, den sie setzt, zwangsläufig bestimmten Phänomenen mehr Sichtbarkeit verleiht und zugleich anderen Phänomenen weniger oder gar keine Aufmerksamkeit schenkt. Da für die Wissenschaft relevante Ressourcen nicht unbegrenzt sind (Aufmerksamkeit, Gelder, etc.), muss deren Verteilung als ein im erweiterten Sinne politischer Prozess verstanden werden. Dieser Prozess ist meist nicht vollkommen unabhängig von gesellschaftspolitischen Veränderungen und politischen Interessen, was nicht unbedingt schlecht ist. So macht es ja beispielsweise angesichts der aktuellen Lage durchaus Sinn, sich mit klimaneutraler Technologie auseinanderzusetzen oder den Einfluss von Social Media auf demokratische Strukturen zu untersuchen. Wie die Corona-Krise zeigt, können aber auch auf einmal bestimmte, vielleicht sonst eher nischenhafte Forschungsbereiche durch einen Zufall extrem relevant für die Gesellschaft werden und politische Entscheidungen beeinflussen.