Könntest du dich kurz vorstellen? (Was und wo studierst du? Was ist besonders in deiner Biografie?)
Ich komme nicht nur aus dem schönsten Bundesland, sondern studiere auch direkt hier am Meer, in Rostock. Ursprünglich komme ich von der Insel Usedom, dort bin ich bei meinem alleinerziehenden Vater aufgewachsen. Ich stamme aus einer klassischen Arbeiterfamilie und bin die erste Frau aus unserer Familie, die eine akademische Laufbahn einschlägt. Nach dem Abi hatte ich keine Lust mehr auf Lernen, obwohl ich schon wusste, dass ich studieren möchte - nur noch nicht was oder wo genau. Deshalb habe ich mich vorerst für ein Au-Pair-Jahr in Irland entschieden - das Beste was ich hätte machen können! Eigentlich war danach mein Plan Linguistik und/oder Politik in Leipzig zu studieren, aber meine Freund:innen sind alle in Rostock angespült worden und haben mich überzeugt, hier im Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaften sowie Politikwissenschaften zu studieren. Das habe ich bis heute nicht bereut, jetzt mit 25 Jahren, studiere ich im Master Area Studies (PoWi) und könnte glücklicher nicht sein.
Wie war dein Weg zum Stipendium bei der FES? Was bedeutet das Stipendium für dich?
Bereits mit Ablegen des Abiturs war für mich klar, dass ich studieren möchte und dass ich definitiv auf finanzielle Unterstützung angewiesen sein werde. Meine Familie konnte mich zwar in gewissem Maße unterstützen, aber ohne zusätzliches Geld und einen Minijob wäre das Studium für mich nie möglich gewesen. Obwohl ich bereits Erfahrung mit Stipendien hatte, war der schnellere Weg zunächst das BAföG. Als ich mich eingewöhnt hatte in Rostock und im Studium und zunehmend durch die Bundestagswahl 2017 politisiert wurde, lernte ich bei den JuSos einige FES-Stipis kennen. Diese ermutigten mich sehr, mich ebenfalls um ein Stipendium zu bewerben. Da ich, ehrlich gesagt, die Anmeldefrist im Bachelorstudium versäumt hatte, nahm ich es mir für den Master fest vor und hier bin ich nun. Das Stipendium ist für mich eine riesengroße Auszeichnung und Anerkennung, nicht nur für meine Studienleistungen, sondern vor allem für mein freiwilliges Engagement. Es gibt mir Unabhängigkeit und bietet zugleich vielfältige Möglichkeiten, mich weiter zu vernetzen, auszutauschen und weiterzuentwickeln.
Es existiert das Klischee, dass Stipendien nur an Überflieger aus Akademiker-Familien vergeben werden. Was würdest du jemandem mit diesen Vorstellungen sagen? Was sind deine Gedanken dazu?
Kurz gesagt und bildlich gesprochen, würde ich die Kommode, aus der dieses Schubladendenken kommt, auf den Sperrmüll werfen! Ich hatte das große Glück, trotz Pandemie letztes Jahr das erste und wohl letzte Präsenz-Treffen von vielen verschiedenen Stipis in Bonn zu besuchen. Jede:r war auf ihre/seine eigene Weise ein Überflieger, aber viel mehr charakterlich und nicht unbedingt leistungstechnisch. Klar, kamen einige aus Familien, wo bereits ein oder beide Elternteile studiert haben, aber viele Biografien klangen eher wie meine oder sogar noch holpriger. Das war sehr beeindruckend und ich bin froh, gesehen zu haben, wer sich für was einsetzt und engagiert, obwohl oder gerade weil man es selbst oft nicht einfach gehabt hat. Jede:r kann sich für andere stark machen und damit ist jede:r ein Überflieger!
Wie hast du die Pandemie-Zeit mit deinem Studium und Engagement bisher bewältigt? Wer oder was hat dir dabei geholfen, trotz aller Einschränkungen zuversichtlich und am Ball zu bleiben?
Online-Studium, Online-Job und Online-Engagement sind auf Dauer wirklich zermürbend. Was mir wirklich geholfen hat, war das kleine, aber sehr stabile Umfeld meiner HSG, der JuSos und SPD hier vor Ort, sowie mein eigener kleiner Freundeskreis abseits der Politik. Zusätzlich bin ich in der glücklichen Lage einen wundervollen Mann an meiner Seite zu haben, der mich stets unterstützt, sowie eine quirlige kleine Hundedame, die mich jeden Tag aufs Neue Optimismus lehrt.
Was spricht aus deiner Sicht für ein Studium an einer Hochschule, FH, Uni in (Nord-)Ostdeutschland, speziell in Rostock? Welche Plus- oder Minuspunkte des Standorts würdest du vielleicht nennen?
Speziell Mecklenburg-Vorpommern ist ein wunderschönes Fleckchen Erde - nicht nur Rostock, sondern auch die anderen Hochschulstandorte im Land sind malerisch schön. Wir leben mitten in der Natur zwischen Wiesen, Wald und Strand. Ich meine, wer kann schon von sich behaupten, vor der Vorlesung in der Ostsee baden gewesen zu sein? Rostock hat für mich eine super Größe, denn man lebt anonym genug, um seine Ruhe zu haben, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, ein bekanntes Gesicht in der (Innen-) Stadt für einen kleinen Schnack zu treffen. Auch während des Studiums empfand ich die familiäre Atmosphäre an meinen Lehrstühlen als außerordentlich angenehm. Der Umgang miteinander ist dadurch irgendwie schöner und der Gedanke, eine von 500 Studierenden im eigenen Fach zu sein, gefiel mir noch nie. Ebenso im Ehrenamt, welches bei mir deutlich mit den JuSos und der SPD verwoben ist, sind die Netzwerke klein und überschaubar, aber das hat mir den Einstieg enorm erleichtert. Ich könnte wahrscheinlich ewig weiter schwärmen, aber alle meine Pluspunkte für Rostock und Mecklenburg-Vorpommern sind für jemand anderen wahrscheinlich die größten Minuspunkte: Es gibt keine 100 Clubs oder 200 Bars, die Studiengänge sind je nach Fach höchstens zwischen 20-300 Personen groß und die engagierten Gesichter trifft man überall wieder. Aber es hat Charme, es ist liebenswert und eigenwillig hier in Rostock und die Kneipenabende mit den Dozent_innen machen besonders Spaß!
Du bist kommunalpolitisch engagiert und setzt dich zudem als Stipendien-Botschafterin ein. Welche Erfahrungen machst du in Gesprächen beispielsweise mit Schüler_innen oder anderen Studierenden beim Thema (Soziale) Demokratie in Ostdeutschland?
Generell sehe ich gerade einen Umbruch, junge Menschen politisieren sich so schnell und so stark wie seit langer Zeit nicht mehr. Das ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern allgegenwärtig. Typisch für die Gespräche, die ich führe, ist, dass etwas „Altbewährtes“ wie die SPD, welche seit fast 30 Jahren die Landesregierung stellt und in Mecklenburg-Vorpommern kommunal stark vertreten ist, von den jungen Menschen nicht als festgefahren oder unveränderbar angesehen wird. Wir hatten trotz Pandemie einen soliden Zuwachs an engagierten Leuten auf sämtlichen Ebenen. Diese sehen das vorhandene Fundament, aber sie sehen auch die Notwendigkeit zur Veränderung und haben wirklich Bock mitanzupacken, um etwas zu verändern. Nur selten kommen mir einfache Schnacker unter die Nase - Leute, die meckern, aber nichts machen wollen.
Welche Möglichkeiten siehst du, mit deinem Engagement und/oder deinem Studienfach, etwas zu einem besseren gemeinschaftlichen Zusammenleben beizutragen? Inwiefern hilft dir die (finanzielle und ideelle) Förderung durch das Stipendium, dieses Ziel zu erreichen?
Eine ähnliche Frage wurde mir im Auswahlgespräch gestellt und sie ist meiner Ansicht nach eng mit dem Klischee der „Überflieger“ verbunden. Was kann ich beitragen? Warum bin ich besser als andere? Welchen Unterschied mache gerade ich aus? Meine Antwort hat sich zu damals nicht verändert: Es ist egal, wie groß das Zahnrädchen ist - Hauptsache, es bewegt sich und allein diese Bewegung bewirkt Veränderung. Ob nun auf einer kleinen oder vielleicht großen Ebene. Du musst nicht Kanzlerin, Chefin oder Leiterin sein, um die Berechtigung zu erhalten, die Gemeinschaft ein bisschen besser zu manchen. Oft sind es die eher unscheinbaren Menschen, die den Alltag, das direkte Zusammenleben für alle angenehmer und besser machen. Nicht Macht, sondern der eigene Mut bewegt Menschen. Diese Erkenntnis hilft mir immer wieder, auf Menschen zuzugehen, ihnen zuzuhören und ihnen eine Hand zu reichen. Das Stipendium hält mir dabei den Rücken frei und befreit mich von einem enormen Druck, den ich noch aus Bachelorzeiten kenne. Die FES hilft mir, mich zu verbessern und unabhängig zu sein, um anderen zu helfen, und daher ist es ein unglaublich dankbares Gefühl, welches ich für dieses Stipendium empfinde.