Sobald du Stipendiatin oder Stipendiat bei uns bist, steht dir das volle Betreuungs- und Veranstaltungsprogramm zur Verfügung. Es hat bei jedem Werk andere Schwerpunkte, die auf unseren unterschiedlichen weltanschaulichen Ausrichtungen und Zielsetzungen basieren. Dennoch gibt es auch hier eine Reihe von Gemeinsamkeiten!
Mein Name ist Devrim Eren, ich bin 28 Jahre alt und gebürtige Berlinerin. Ich komme aus einer migrantischen Arbeiterfamilie. Meine Großeltern mütterlicherseits waren türkisch-alevitische Sozialdemokrat*Innen, die Anfang der 1970er als Gastarbeiter*Innen nach Westdeutschland kamen. Mein Vater stammte aus dem Kosovo und musste seine Heimat Mitte der 1990er aufgrund der Repressalien des Milosevic Regimes verlassen. Ich wuchs daher in einem multi-ethnischen und politisch aktiven Elternhaus auf. Von klein auf prägte mich das Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und Solidarität mit marginalisierten und unterdrückten Menschen – zentrale Grundwerte im Alevitentum, aber auch in der Sozialdemokratie, welche wesentlich für meine eigene Forschung sind. Ich promoviere im Fach „Global and Area Studies“ an der Humboldt-Universität zu Berlin, am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften. Im Rahmen meines PhDs beschäftige ich mich mit Dekolonialität im Spannungsfeld von Kastensystem, Gender und Umweltungerechtigkeit. Meine Feldforschung hierzu habe ich in Delhi und Mumbai mit Müllarbeiter*Innen aus der Dalit-Community geführt, in Slums und Mülldeponien in beiden Megastädten. Mein Masterstudium habe ich in „Moderne Süd- und Südostasienstudien“ absolviert, und im Bachelorstudium die Fächerkombination Bibliotheks- und Informationswissenschaft sowie Regionalstudien Asien/Afrika studiert, beides ebenfalls an der HU Berlin. Abseits meiner Dissertation arbeite ich als freiberufliche politische Bildnerin und leite Workshops gegen Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus für eine Berliner Träger*In der politischen Bildungsarbeit.
Wie war dein Weg zum Stipendium bei der Friedrich-Ebert-Stiftung?
Vom Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung erfuhr ich über Online-Recherchen. Meine Chefin und Mentorin vom Neuköllner Mädchentreff „MaDonna“ ermutigte mich, mich zu bewerben. Mein Weg zum Stipendium begann 2014 mit meiner Aufnahme in die Grundförderung. Der Bewerbungsprozess war unkompliziert und die Interviews verliefen recht gut, obwohl ich anfangs sehr aufgeregt war und sogar annahm, dass ich nicht aufgenommen werden würde. Nach meinem Masterstudium bewarb ich mich im Juni 2020 dann auch für das Promotionsstipendium bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und erhielt im Dezember desselben Jahres die Zusage.
Was bedeutet das Stipendium für dich?
Das Stipendium bedeutet für mich in erster Linie Unabhängigkeit und Freiheit. Nach dem Tod meines Vaters vor über 13 Jahren hatten wir in der Familie mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein Studium erschien mir damals noch wie ein Traum. Das Stipendium half mir, meine alleinerziehende Mutter finanziell zu entlasten. Doch für mich ist es vor allem eine große Unterstützung, weil ich mich dadurch ganz meinem Studium und meinem gesellschaftspolitischen Engagement widmen kann. Ohne die finanzielle Unterstützung und die ideelle Förderung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung hätte ich beispielsweise meine Feldforschung in Indien überhaupt nicht durchführen oder meine Ergebnisse auf internationalen Konferenzen präsentieren können.
Du bist vielfältig gesellschaftspolitisch engagiert und setzt dich zudem als Stipendien-Botschafterin ein. In welcher Weise engagierst du dich aktuell besonders?
Ich engagiere mich in Menschenrechtsinitiativen und -projekten im In- und Ausland. In den vergangenen Jahren habe ich mich vor allem in interreligiösen und -kulturellen Initiativen engagiert sowie als Arbeitskreis-Asien-Sprecherin in der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nach meiner Rückkehr aus der Feldforschung möchte ich nun den World Uyghur Congress stärker unterstützen, da ich seine Arbeit sehr wichtig und mutig finde. Zudem bin ich gegenwärtig Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der Lichtenberger SPD sowie Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand der Berliner Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt. In die Partei bin ich allerdings erst nach meiner Aufnahme in die Grundförderung eingetreten. Sowohl in der Parteiarbeit als auch meinem Engagement in zivilgesellschaftlichen Vereinen und Initiativen sind sozialdemokratische Werte wie soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität omnipräsent und für mich als überzeugte Demokratin, Antirassistin und Feministin unverhandelbar.
Welche Möglichkeiten siehst du, mit deinem Engagement und/oder deinem Studienfach, etwas zu einem besseren Zusammenleben beizutragen?
Inwiefern hilft dir die (finanzielle und ideelle) Förderung durch das Stipendium, dieses Ziel zu erreichen? Ich definiere mich selbst als „engaged scholar“. Sowohl im Rahmen meiner Forschung als auch in meinem gesellschaftspolitischen Engagement arbeite ich mit Menschen aus marginalisierten Gruppen zusammen. Ich versuche sie mit meiner Arbeit sichtbar zu machen und ihren Stimmen im akademischen und gesellschaftlichen Kontext Gehör zu verschaffen. Ich möchte dazu beitragen, die Binarität zwischen Theorie vs. Praxis als koloniales Relikt zu dekonstruieren. Denn Wissensproduktion findet nicht ausschließlich im akademischen Raum statt, sondern vor allem im Dialog mit sozial benachteiligten Gruppen, die auf kreative Art und Weise sozialer Ungleichheit im Alltag begegnen. Schreiben ist natürlich ein Privileg. Ich möchte dieses Privileg für diejenigen nutzen, die subalterniert wurden und nicht Teil der dominanten Geschichtsschreibung sind. Das Stipendium hilft mir dabei enorm - natürlich finanziell, aber auch ideell, z.B. durch die Teilnahme an interessanten Seminaren und durch die Vernetzung mit anderen Stipendiat*Innen und innerhalb der Friedrich-Ebert-Stiftung (z.B. im Kontakt zu den Auslandsbüros).
Was würdest du jemandem empfehlen, der/die eher wenig zum Promotionsstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung weiß?
Meine Wahl fiel auf die Friedrich-Ebert-Stiftung, weil ich mich mit ihren Grundwerten wie soziale Gerechtigkeit und Solidarität absolut identifizieren konnte. Wie gesagt, muss man dafür aber kein Parteimitglied sein. Ich habe mir vor meiner Bewerbung um ein Promotionsstipendium konkret die Webseite (https://www.fes.de/studienfoerderung/promotionsfoerderung-fuer-deutsche-und-bildungsinlaender-innen) angeschaut, mich über die Kriterien und erforderlichen Unterlagen informiert und mich im Anschluss einfach beworben. Das kann ich nur weiterempfehlen.
Es existiert das Klischee, dass Stipendien nur an „Überflieger“ mit 1,0 Abitur aus Akademiker-Familien vergeben werden. Was würdest du jemandem mit diesen Vorstellungen sagen?
Dem kann ich nur vehement widersprechen. Ich habe mein Abitur mit der Note 2,0 absolviert. Ich bin Erstakademikerin und komme aus einer migrantischen Arbeiterfamilie – das sind eigentlich alles Dinge, die diesem Klischee widersprechen. Wir müssen einfach diesen Mythos des „Überfliegers“ auflösen. Das Abitur und Noten allgemein sind nur zwei Kriterien unter vielen, die für die Bewerbung um ein Stipendium relevant sind. Was vor allem zählt, ist das Engagement für die Gesellschaft und die Persönlichkeit. Daher mein Tipp an alle: Lasst euch nicht verunsichern – bewerbt euch einfach!
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